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Das verhalten würgende Gurgeln und das darauffolgende, schwerlich unterdrückte Geschimpfe alarmierte mich nicht erwähnenswert. Ich registrierte es als etwas Altbekanntes, das eben wieder einmal aktuell zu sein schien - ähnlich wie jedes Jahr Ostern oder Weihnachten ist, nur, dass man bei diesen Festen vorher immer genau weiß, wann sie stattfinden, und dass sie erfreulichere Ereignisse sind als das, was mir gerade bevorstand. Mit einem leisen Seufzer, den ohnehin niemand hören konnte, erhob ich mich und schlurfte die Kellertreppe hinab.
Ich griff nach dem Eimer, füllte ihn mit diversen Werkzeugen und alten Putzlappen und machte mich, erneut seufzend, wieder auf den Weg nach oben. In der Küche angekommen, fand mein nunmehr bereits dritter Seufzer endlich Gehör. Susi stand vor mir, leicht abgekämpft und den leuchtend roten Gummipümpel wie eine nutzlose Feuerwehraxt hilfesuchend und resignierend in ihrer schlaff herabhängenden Hand schwingend. Wie sollte ich sie nur trösten, da mir doch ein noch übleres Schicksal bevorstand, als ihr eben widerfahren war.
„Der Abfluss...“ begann sie mit bebender Stimme, und ich hoffte, sie würde den Pümpel nicht gegen mich erheben. Ich fiel ihr vorsorglich ins Wort.
„...ist schon wieder verstopft, ich weiß.“ Ich entwaffnete sie umgehend, womit die Gefahr gebannt war, den restlichen Abend wieder einmal mit der Saugglocke im Gesicht verbringen zu müssen.
Obwohl ich nichts dafür konnte, dass beim Hausbau diesbezüglich gemurkst worden war, hatte ich doch immer wieder den Eindruck, daß Susi mir die Schuld gab, wenn der Abfluss zu war. Ob die Vorbesitzer des Hauses ähnliche Probleme gehabt hatten, war nicht herauszufinden, ein notarieller Eintrag im Kaufvertrag war jedenfalls nicht zu entdecken. Sicher hatte man aus gutem Grund darauf verzichtet, vielleicht war das Haus gerade wegen des Küchenabflusses zum Verkauf angeboten worden. Ich hatte mich schon damals über den humanen Kaufpreis gewundert, nicht ahnend, welch unmenschlicher Fluch auf dem Grundstück lag.
„Wie gibt´s denn sowas?“ fragte Susi herausfordernd, und ich überlegte genau, um jetzt nur nichts Falsches zu sagen.
„Weiß ich nicht.“ Ein guter Anfang, aber längst nicht ausreichend, denn meine Frau ist eine unerbittliche und tückische Fragestellerin. „Eines ist aber klar, die Leitungen sind unglaublich verwinkelt verlegt, mit vielen Rohrkrümmungen, Muffen und Bögen. Und an all diesen Stellen lagern sich Essensreste und Ähnliches ab.“ Au, Fehler!
„Willst du damit behaupten, ich...“
Ich musste rechtzeitig vermeiden, dass sie ihre Hand gegen mich erhob. „Nein, nein. Aber im Spülwasser sind immer Reste von Nudeln, Reis und vielem anderen gelöst, die man kaum sieht und schon gar nicht herausfiltern kann. Das Zeug sammelt sich an, wird kalt und fest, und beim nächsten Mal kommt wieder was dazu, und so weiter.“
„Dann tu doch was!“
Ich musste mein tagelanges Herumgelungere vor dem Waschbecken endlich einstellen, bevor sie ungehalten wurde. Der erste Versuch der Reparatur bestand darin, gemeinsam zu pumpen, wobei der eine sämtliche Entlüftungsöffnungen mit Lappen zuhalten musste, während der andere mit aller Kraft stampfte. Nein, nicht mit dem Fuß auf den Boden, obwohl uns sicher danach war, sondern mit dem Gummipümpel am Abfluss.
Da ich, zumindest bei solchen Gelegenheiten, anerkanntermaßen der Kräftigere bin, fiel mir die Aufgabe des Pumpenmannes zu. Schon nach wenigen Bewegungen allerdings wurde ich jäh gebremst, als die Saugglocke sich fast unlösbar mit dem Waschbecken verbunden hatte und sich nicht mehr nach oben bewegen ließ. Der Abfluss war endgültig verstopft. Wir könnten unser Abwasser vielleicht in Zukunft in Eimern raustragen und auf dem Komposthaufen entsorgen. Bewegung sollte schließlich gesund sein.
Ein vorwurfsvoller Blick strich meine Wange und ich erwachte so plötzlich aus meinen Überlegungen, dass ich solchermaßen erschreckt unmenschliche Kräfte aufbot und wieder kräftig zu pumpen begann. Zu kräftig, wie sich gleich herausstellen sollte, denn Susi war einem derartigen Druck unter ihren Händen nicht gewachsen. Mit einem lautstarken Schmatzgeräusch hoben die Lappen von den Entlüftungsöffnungen ab und gaben den Weg frei für einen kräftig spritzenden und übelriechenden Abwasserstrahl, der sich sofort auf Susis Gesicht und Oberkörper verteilte. Ich blickte sie an und fragte mich, wie ich mit einem solchen Schmutzfink zusammenleben und sie jemals wieder berühren konnte. Ein Lachen verkniff ich mir.
Susi schimpfte, glücklicherweise weniger über mich als über den Abfluss. Ich musste sie soweit ablenken, dass sie nicht doch noch mich beschuldigte, also bespritzte ich auch mich selbst mit der stinkenden Brühe, was sie anscheinend zufriedenstellte. Wir beschlossen in gegenseitigem Einvernehmen, die nutzlosen Versuche mit dem Pümpel aufzugeben und zu härteren Maßnahmen zu greifen. Die chemische Keule stand als nächstes auf dem Programm.
Wir fanden die Plastikflasche hinter allerlei nutzlosem Zeug in einem Kellerregal. Dem Schütteln zufolge waren noch einige Körnchen des Abflussreinigers enthalten. Wir kippten die gesamte Ladung ins Waschbecken, und die Verzweiflung siegte über das etwas schlechte Gewissen wegen der Abwasserbelastung. Außerdem war noch gar nicht sicher, ob auch nur irgendetwas jemals wieder unser Haus durch den Abfluss verlassen würde. Das Zeug zischte und gurgelte ein wenig, und es schien, als hätte es sehr viel Spaß dort in der Unterwelt. Unsere Hoffnung allerdings hielt nicht lange an. Bereits beim ersten Pumpversuch hatten sich die Körner mit dem schon länger in der Leitung befindlichen Pfropfen zu einer kompakten Masse verdichtet. Nach etwa fünf Minuten sprang der abermals festgesaugte Pümpel von selbst aus dem Waschbecken hoch und ich fing ihn geistesgegenwärtig auf, bevor er die Zimmerdecke erreichte.
Nun war es genug. Ich schmierte mir zur besseren Tarnung dunkle Schuhcreme ins Gesicht, schnallte ein Stirnband um und marschierte energischen Schrittes in den Keller, mit den schweren Springerstiefeln erfurchtgebietend aufstampfend. Als ich zurückkam, hatte ich, einem Patronengurt gleich, die Rohrreinigungsspirale quer über den Oberkörper gehängt, die Hände steckten in groben Handschuhen. Susi trat salutierend beiseite, als ich mich vor den Abfluss kniete und das Rohr ausbaute. Wie eine dicke, halbmeterlange Wurst fiel der erste Pfropfen heraus, aber mein untrüglicher geschulter Blick sagte mir sofort, dass dies nur die Spitze des Eisberges sein konnte.
Ich schob die Spirale mit dem krallenartigen Ende voraus in das in der Wand befindliche Rohr. Es ging langsam voran, aber das Drehen an der am anderen Ende angebrachten Kurbel machte den Weg ein wenig frei. Schließlich war fast die gesamte Spirale in der Wand verschwunden. Das war genau der Zeitpunkt, als sich die Kurbel nicht mehr drehen ließ. Es ging weder voran noch zurück. Das Ding steckte fest, so sehr ich auch daran rüttelte und zerrte und drehte. Abermals suchte ich mein Waffenarsenal auf und kehrte mit einer neuen, etwas dickeren Spirale zurück.
Eine Stunde später ragten die Enden von insgesamt drei Spiralen aus der Wand. Theoretisch musste das Rohr fast frei sein - falls ich die Spiralen wieder herausbekam. Während ich ratlos einen bereits erkalteten Plan schmiedete, holte Susi demonstrativ eine Plastikschüssel aus dem Schrank. Sie legte einige schmutzige Geschirrstücke hinein, und ich bin ganz sicher, dass sie extra noch ein paar saubere dazutat, nur um den theatralischen Effekt zu erhöhen. Ich versuchte sie zu ignorieren und spielte mit den Zehen an den aus der Wand ragenden Kurbeln. Susi ging zur Gästetoilette, ließ absichtlich die Tür offen, damit mir nichts Wesentliches entging, und spülte das Geschirr über der Toilettenschüssel. Den bei dieser Gelegenheit versehentlich verlorengegangenen Suppenlöffel entdeckte ich erst eine Woche später zufällig bei einer wichtigen Verrichtung.
Der Abend war in jeder Hinsicht gelaufen. Wir gingen wortlos zu Bett, und wir hätten uns jederzeit im Dunkeln wiedergefunden, da unser Geruch einen untrüglichen Wegweiser darstellte. Ich träumte von dreiköpfigen Schlangen, die an ihrem Krallenende unzählige Eier in ihr feuchtes, sumpfiges Nest legten, und schließlich zu hunderten die Treppe  zum Schlafzimmer heraufgekrochen kamen. Ich erwachte schweißgebadet und schnüffelte nach Susi. Sie war noch da. Ich machte das Licht an und schlich die Treppe hinab in die Küche, wo ich mit zitternden Händen die Lampe einschaltete. Die Spiralen ragten unverändert aus der Wand, die Schlangen schienen zu schlafen.
Ich begab mich ins Wohnzimmer und holte das Branchentelefonbuch hervor. Schlangenbändiger gibt es in unserer Nähe offensichtlich nicht, also blätterte ich zurück. Klempner oder Kanalreinigung sollte die richtige Spalte sein. Gleich morgen früh würde ich eine dieser Telefonnummern anrufen und nach jemandem mit einer Rohrreinigungsspirale fragen, da mir meine ausgegangen seien. Dann würden Susi und ich uns ordentlich waschen und schrubben. Vielleicht bestand danach auch eine Chance zu einem Neuanfang für uns beide.

 
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